Wir wollen keine Namen nennen

Diesen Text habe ich für unseren neuen Blog geschrieben. Am Tag der Poesie hatte er im Hamburger Tropenhaus Premiere. Dass ich mich gerade mit Poetry Slam beschäftigt habe, als er entstand, merkt Ihr ihm sicherlich an:

 

 
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Weder Bildungsbluff noch Bildungsfeindlichkeit

In meinen literarischen Texten geht es mir nicht darum, das zu sagen, was ich sowieso schon weiß. Oder etwas zu sagen, was ich auch in einem Sachtext ausdrücken könnte. Ich schreibe, weil ich etwas herausbekommen möchte über Sprache, Sprechen, die Welt, mich selbst. Mich interessiert, was passiert, wenn ich mich aus den üblichen Mustern fortbewege und mich auf die Sprache einlasse. Im Zentrum steht für mich die Frage: Wie schaffe ich es, dass mein Text sich neuen Wahrnehmungen öffnet und sie nicht sofort wieder der gewohnten Sprache unterwirft?
Wenn ich einen Satz geschrieben habe, der zu dem zu passen scheint, was ich sagen will, frage ich mich: Habe ich wirklich zur Sprache gebracht, was ich suche, manchmal nur ahne? Oder habe ich mich vorschnell dem gewöhnlichen Sprechen angepasst und damit alles Abweichende wieder verschüttet?
Ich schreibe nicht langsam, aber ich brauche viel Zeit, um über mein Geschriebenes nachzudenken. Dabei helfen mir Texte von Schriftstellerinnen und Schriftstellern, die eigene Wege gehen, die etwas ausprobieren, etwas wagen, auch solche, die längst verstorben sind wie Arthur Schnitzler, Alfred Döblin oder Kurt Schwitters. Sie helfen mir gleich zweifach: Die Lektüre macht Mut, selbst zu experimentieren, und erweitert die eigene Ausdrucks-Palette.
Aber ob beim Lesen oder beim Schreiben, stets versuche ich, locker mit Literatur umzugehen: kein Bildungsbluff, aber auch keine Bildungsfeindlichkeit.

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Mein Lieblingspublikum

Ich schreibe für Menschen, die ebenso offen sind für Populär- wie für Hochkultur, aber beiden misstrauen. Unterhaltung ist ihnen auf die Dauer zu unreflektiert, Hochkultur zu sehr abgestellt auf soziale Distinktion. Die Großmäuligkeit der einen geht mir ebenso auf die Nerven wie die Angeberei der anderen.

Mein Lieblingspublikum ist in Bewegung und sucht die Bewegung auch in der Literatur. Es hat Lust am Denken und Spaß am Spiel mit Figuren, Sprache, Perspektiven.

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Der Rote Faden 1

Ohne geht gar nicht!, sagte neulich beim Autorenstammtisch eine Schriftstellerin im geblümten Sommerkleid. Alle nickten. Ein Text ohne roten Faden ist ein kollektives No-Go.

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Wie rigide sie denkt. Kinder, haltet euch schön fest, sonst fallt ihr über Bord und ertrinkt im Meer der Möglichkeiten.

Oft höre ich, wie entscheidend der rote Faden sei und dass ich meine Geschichten gefälligst stringenter erzählen solle, ohne Nebenwege, Umwege und Abwege.

Auf dem Nachhauseweg im Bus, als es natürlich zu spät war, fiel mir Heinrich Heine ein. Schon vor 150 Jahren hat er auf Spannungsdramaturgie verzichtet und seine eigene Schreibweise gefunden. Er verknüpft Disparates, ohne es an den roten Faden zu fesseln. Seine Reisebilder sind locker verbunden durch die Reiseroute, die Orte, die die Kutsche passiert. In Deutschland – ein Wintermärchen etwa führt der Bogen vom Ausgangsort (Aachen) über mehrere Stationen bis zum Ziel (Hamburg). Dazwischen ist alles möglich. Dem Reisenden begegnen ganz unterschiedliche Geschichten, Reflexionen, Gedichte, Träume. Auch seine Gedanken gehen auf die Reise. Er schläft ein, und plötzlich ist er am Kyffhäuser, mehrere hundert Kilometer weiter östlich.

Als ich aus dem Bus stieg, dachte ich, Heine hätte mich verstanden.

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Der Rote Faden 2

Wer hat eigentlich den roten Faden erfunden?

Die Metapher ist durch Goethe in die deutsche Sprache gekommen. In seinem Roman Die Wahlverwandtschaften heißt es:

Wir hören von einer besondern Einrichtung bei der englischen Marine. Sämtliche Tauwerke der königlichen Flotte, vom stärksten bis zum schwächsten, sind dergestalt gesponnen, daß ein roter Faden durch das Ganze durchgeht, den man nicht herauswinden kann, ohne alles aufzulösen, und woran auch die kleinsten Stücke kenntlich sind, daß sie der Krone gehören.[1]

Der rote Faden ordnet das Leben zu einer stringenten Erzählung, denn von sich aus verläuft es nicht immer folgerichtig. Erst das Erzählen schafft den linearen Zusammenhang. Wenn man nun alles mit dem Faden festbindet und was stört, weglässt, so täuscht man etwas vor, was nicht ist. Eine Erzählung oder ein Roman, die sehr stringent voranschreiten, reduzieren die Komplexität der Wirklichkeit. Je stringenter, desto mehr.

[1] Goethe, Die Wahlverwandtschaften, in Deutsche Literatur von Lessing bis Kafka, S. 52065, vgl. Goethe-HA Bd. 6, S. 368

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Der Rote Faden 3

Ein Text, der uns lieb und wichtig ist, ist der Mann ohne Eigenschaften von Robert Musil. Ein „Vorbild“. In Anführungszeichen. In unserer Reihe Dicke Bücher beschäftigen wir uns damit.

Musils Hauptfigur Ulrich hat Vorbehalte gegen die überkommenen Gesetze des epischen Erzählens:

Und als einer jener scheinbar abseitigen und abstrakten Gedanken, die in seinem Leben oft so unmittelbare Bedeutung gewannen, fiel ihm ein, dass das Gesetz dieses Lebens, nachdem man sich, überlastet und von Einfalt träumend, sehnt, kein anderes sei als das der erzählerischen Ordnung! Jener einfachen Ordnung, die darin besteht, dass man sagen kann: „Als das geschehen war, hat sich jenes ereignet!“ Es ist die einfache Reihenfolge, die Abbildung der überwältigenden Mannigfaltigkeit des Lebens in einer eindimensionalen (…), was uns beruhigt; die auf Reihung alles dessen, was in Raum und Zeit geschehen ist, auf einen Faden, eben jenen berühmten „Faden der Erzählung“, aus dem nun also auch der Lebensfaden besteht. Wohl dem, der sagen kann „als“, „ehe“ und „nachdem“! Es mag ihm Schlechtes widerfahren sein, oder er mag sich in Schmerzen gewunden haben: sobald er imstande ist, die Ereignisse in der Reihenfolge ihres zeitlichen Ablaufes wiederzugeben, wird ihm so wohl, als schiene ihm die Sonne auf den Magen. (…)

Die meisten Menschen sind im Grundverhältnis zu sich selbst Erzähler. (…) Sie lieben das ordentliche Nacheinander von Tatsachen, weil es einer Notwendigkeit gleichsieht, und fühlen sich durch den Eindruck, dass ihr Leben einen „Lauf“ habe, irgendwie im Chaos geborgen. Und Ulrich bemerkte nun, dass ihm dieses primitiv Epische abhandengekommen sei, woran das private Leben noch festhält, obgleich öffentlich alles schon unerzählerisch geworden ist und nicht einem „Faden“ mehr folgt, sondern sich in einer unendlich verwobenen Fläche ausbreitet. (M.o.E., Reinbek 1984/ 1978, S. 650)

Der rote Faden schafft also das ordentliche Nacheinander von Tatsachen, wie Musil formuliert. Viele Leser suchen Ordnung in der Literatur und im Leben; und wenn’s im Leben schwierig wird, wenigstens im Buch. Da fühlen sie sich irgendwie im Chaos geborgen.

Das Leben besteht ja aus disparaten Eindrücken, sowohl draußen in der Welt als auch im eigenen Kopf. Unsere Gedanken driften in alle Richtungen auseinander.

Wenn wir versuchen, etwas zu verstehen, ordnen wir. Im Grunde ist Denken ein Prozess des Ordnens. Der Denkfehler vieler besteht darin, dass sie glauben, es gäbe eine Ordnung. Sie sei schon da, und wir müssten sie nur finden.

Tatsächlich stellen wir sie immer wieder her durch unser Denken.

Leute, die Angst vor Unordnung haben, lesen gern ordentliche Bücher. Leute, die Spaß am Denken haben, erfreuen sich an nicht ganz so ordentlichen.

Ulrich ist das primitiv Epische abhandengekommen. Er sieht stattdessen eine unendlich verwobene Fläche, sieht den Text als Textil, als Gewebe. Das ist modern an Musils Roman.

Wer Text und Leben als Gewebe betrachtet, hängt nicht an einem Faden, sondern er vernetzt sich. Er hat mehr Freiraum, aber auch mehr Möglichkeiten, sich zu verwirren oder verwirrt zu werden.

Am Ideal eines einzigen ordentlichen Fadens festzuhalten, scheint uns gefährlich. Wie leicht führt es dazu, alles Abweichende, Fremde zu bekämpfen, das sich nicht mit dem roten Faden der Erzählung fesseln lässt.

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