Lieber mit Literatur reden als darüber

Hannover, Gaststätte „Entenfang“. Im „Clubzimmer“ tagt der literarische Gesprächskreis meiner Schwester. Ein Jungautor liest Kolleginnen und Kollegen aus seinem Romanprojekt vor: „Die Reise ins Innere der Außenwelt.“ Der Held Maldewin kämpft gegen die brutale Gemeinschaftsideologie einer mittelalterlichen anmutenden Stadtgesellschaft, in der es allerdings bereits Elektrizität gibt. Die für die Stromerzeugung zuständigen Elfen planen einen Aufstand.

Jeder rund um den Tisch, ich eingeschlossen, tritt dem Schriftsteller sofort mit der eigenen Meinung nahe. Technische Fragen werden aufgeworfen, eigene Rezeptionsbedürfnisse formuliert („Mir ist der Protagonist zu unsympathisch.“). Es geht um Erzählperspektive, Vor- und Nachteile von Rückblenden, um den Inneren Monolog – ja, nein, was bringt‘s? Es zeigen sich Vorlieben, Ansichten, Maßstäbe und vor allem die Lust, Ratschläge zu erteilen.

Da wird nach Grammatik-, Schreib- und Ausdrucksfehlern gesucht, nach Ungeschicklichkeiten, Wiederholungen, argumentativen Lücken – als ob wir alle nichts Besseres zu tun hätten, als Lehrer zu spielen oder den geschmäcklerisch verwöhnten Bücher-Gourmet, was offenbar gut zusammenpasst. Und oft genug geht es allein um soziale Distinktion: Sage mir, was du gut findest und ich sage dir, wo du in der Gesellschaft stehst.

Was soll der arme Autor mit diesem Wust an Einwänden und Vorschlägen anfangen? Ich denke, am besten nichts.

Wenn ich schreibe, versuche ich, Abstand zu gewinnen von gewohnten Mustern. Die Selbstüberwachung im Kopf, auch ich bin literaturkritisch fehlsozialisiert, dränge ich zurück. Dabei sollte mich das Publikum unterstützen!

Ich probiere etwas aus, und nicht immer ist das Ergebnis so, wie ich es mir vorgestellt habe. Es entstehen Texte, mit denen ich zufrieden bin oder nicht, die ich verbessere, umschreibe, neu schreibe, bis ich selbst überrascht bin, wohin mich die literarische Arbeit gebracht hat.

Dann sitzen da wieder Zuhörer mit der alten Frage: Sollte ein Dichter nicht fürs Publikum schreiben?

Die übliche Art und Weise über Literatur, Dichter und das Schreiben zu reden, besteht darin über sie zu reden, nicht mit ihnen. Ein großer Teil des Publikums hält Künstler für Dienstleister. Und viele Autoren und Autorinnen schreiben ja um ihr Leben. Sie müssen über Marktsegmente, Zielgruppen, Trends nachdenken. Aber weil etwas notwendig ist, muss man es nicht auch noch gut finden.

Liebe Leute, ihr müsst euch nicht identifizieren, nicht mit der allgemeinen Meinung, nicht mit der Bildzeitung, den „Medien“ oder dem Wetterbericht! Seit wann sind Dichter dazu da, dem Publikum nach dem Maul zu reden?

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