An die Kunstrichter

 

Gotthold Ephraim Lessing:

An die Kunstrichter
        Schweigt, unberauschte, finstre Richter!
        Ich trinke Wein, und bin ein Dichter.
        Tut mir es nach, und trinket Wein,
        So seht ihr meine Schönheit ein.
        Sonst wahrlich, unberauschte Richter,
        Sonst wahrlich seht ihr sie nicht ein!

Der Dichter schafft im und aus dem Rausch. Er berauscht sich am Wein, an seiner Schaffensfreude, am geselligen Austausch, wenn er sein Gedicht vorträgt, nicht zuletzt an der Eigendynamik der Sprache.

Nur wer sich auf den Rausch einlässt, kann das Kunstwerk verstehen. Die anderen wissen gar nicht, worum es geht.

Normalerweise trauen sich Kritiker nicht wirklich in die rauschhafte Nähe des Objekts ihrer Kritik. Kühl und distanziert wird der fremde Gegenstand betrachtet; so haben wir es in der Schule gelernt. Viele Jahre haben wir trainiert, von oben und von außen auf das Werk herabzublicken. Dafür haben wir gute Zensuren gekriegt. Und es ist verdammt schwer, von dieser Haltung wieder herunterzukommen.

Diese Art des Urteilens geht der Dichtung aus dem Weg. Die Möglichkeiten eines Textes, sein Potenzial, seine Stärke sehen wir auf diese Weise nicht, sondern beschränken uns auf seine angeblichen oder wirklichen Schwächen, auf‘s Klein-Klein. Nur leider ist die Kunst dann tot.

Wie Friedrich Schlegel schreibt: Poesie kann nur durch Poesie kritisiert werden.

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