Dumm und zufrieden

Dummheit ist einfach, abweichendes Denken schwer. Didier Eribon formuliert das so:

„Hergebrachte Empfindungen und peinliche Vorurteile können in unserem Alltagsleben auch dann noch weiterleben, wenn wir sie reflexiv zu analysieren und aufzulösen versuchen. (…) Mit dem eigenen politischen Denken übereinzustimmen ist wahrscheinlich unendlich viel leichter, wenn man konservativ ist und sich der Ordnung der Dinge anschließt, als wenn man die Strukturen der Welt, in die man ganz zwangsläufig eingebettet ist, und auch das eigene Selbst verändern will. (Im ersten Fall genügt es einfach, dumm und mit seiner eigenen Dummheit zufrieden zu sein: Man lässt sich in die gesellschaftlich autorisierte Dummheit fallen, die nur als ein „Denken“ erscheinen kann, weil sie so weit verbreitet ist und deshalb den Erwartungshorizont bestimmt.)“
(Gesellschaft als Urteil, Berlin 2017, S. 66f.)

Dummheit geht einher mit falscher Selbstsicherheit. Ein dummer Mensch schmiegt sich herrschenden Sprechmustern an und feiert, dass alles sich von selbst versteht.

Ich leide unter der Selbstverständlichkeit. Neulich sprach mich einmal mehr ein Kursteilnehmer an: Autoren schreiben doch für ihr Publikum, oder nicht?

Anders formuliert: Autorinnen und Autoren sollen gefälligst so schreiben, dass wir sie verstehen.

Naja, sage ich, wenn ich meinen Freunden und Nachbarn etwas mitteilen möchte, dann sag ich’s direkt. Oder ich schicke eine Mail. Dafür brauche ich keine Literatur.

Kommunikation bedeutet allerdings auch Anpassung. Die Macht der Kommunikation und des Gegenübers sind stärker als mancher meint. Sätze sind verständlich oder besser: selbstverständlich, wenn sie sich dem allgemeinen Sprachgebrauch anschmiegen. Mein Schreiben ist ein Versuch, mir einen eigenen Echoraum zu schaffen gegen Machtverhältnisse in der Sprache und in der Welt.

Wenn ich dichte, taste ich mich ins Noch-nicht-Formulierte vor, das nicht völlig der sprachlichen Normierung unterliegt. Ich spüre  versteckten Bedeutungen nach, erforsche das geheime Leben von Schichten, Klassen, Gesellschaften, die sprachlichen Machtverhältnisse. Manchmal entdecke ich unformulierte eigene Interessen. Gelegentlich wird mir die Sprache so fremd, dass ich stammle. Wenn ich von dem erzähle, was ich noch nicht genau aussprechen kann, beginne ich ein Kapitel zehnmal – und es ist immer falsch.

Dummheit ist einfach, Dichten schwer.

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