Es muss nicht immer alles praktisch sein

Gerade ist die aktuelle Evaluation meiner Tätigkeit bei der Volkshochschule eingetroffen. Einmal im Semester werden die Besucher gebeten, meine Kurse zu bewerten. Von „Fachkompetenz“ über „Verständlichkeit“ bis zum „Umgang mit der Gruppe“ ergab das im Durchschnitt eine 1. Danke.

Auffällig ist allerdings der Ausreißer bei „Verwendbarkeit im Beruf“. Beim Literaturkurs 2,5, beim Theaterkurs sogar nur eine 3.

Nun ist es sicher nicht falsch: Literatur und Theater sind in beruflicher wie privater Praxis meist nicht unmittelbar verwendbar. Ich denke, es ist das Beste an Literatur und Theater, dass sie unpraktisch, ja manchmal sinnlos sind.

Verwendbar und nützlich ist alles, was uns in der Praxis weiterhilft. Wir alle müssen praktisch und verwendbar sein. Jede praktische Tätigkeit, ob in Beruf, Familie oder mit Freunden erfordert, dass wir uns auf sie einlassen. So bindet sie uns ein, sie bindet uns aber auch an. Und Praxis ist ja nicht Praxis, weil sie nicht anders sein könnte, sondern weil wir uns an sie gewöhnt haben.

Literatur und Theater sind unpraktisch. Das ist ihre besondere Qualität. Sie führen zu nichts. Stattdessen bieten sie unseren Wahrnehmungen, Gefühlen und Gedanken einen besonderen Spielraum. Wenn ich ein Gedicht oder einen Roman lese, muss ich nicht sofort entscheiden, was für einen Sinn sie haben. Im Gegenteil: „Denn, um es endlich auf einmal herauszusagen, der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ (F. Schiller: Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen)

Selbstverständlich kommen wir nicht wirklich raus aus der Praxis. Der ästhetisch spielende Mensch öffnet sich der lebendigen Erfahrung, dass die Praxis anders sein könnte als sie ist. Er kann ihr zwar nicht entgehen, aber er muss sie nicht auch noch fraglos akzeptieren. Er kann sich Fragen stellen, etwa:

Was könnten Arbeit, Liebe, Bildung jenseits der bestehenden Verhältnisse bedeuten?

Sogar für den Beruf oder das Beziehungsleben kann die Nutzlosigkeit ein Gewinn sein, denn sie schafft Abstand zu dem, was sich von selbst versteht. Und den brauchen wir alle. Immerzu.

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